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Herbert Ströbel

„Pflanzenschutzreduktion - Begründungen, Alternativen, Folgen“ - Prof. Dr. Andreas von Tiedemann

Ich danke Prof. Dr. Andreas von Tiedemann, Universität Göttingen, für seine Erlaubnis, seinen Vortrag bei der Pflanzenbautagung der LWK am 24.02.2023 in Hannover hier zu teilen.

Pflanzenschutzreduktion - Begründungen, Alternativen, Folgen“

Prof. Dr. Andreas von Tiedemann, Universität Göttingen


Die neuesten Vorschläge der EU zur weiteren Einschränkung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes, bekannt unter dem Kürzel SUR, sind eine weitere Folge der sich immer mehr von der Wirklichkeit entfernenden Nutzen-RisikoBewertung des Pflanzenschutzes. SUR ist der unmittelbare Niederschlag der gesellschaftlichen Fehleinschätzung einer für die Landwirtschaft essentiellen Technologie.


Unterstützt wird diese Politik durch Studien, in denen allein die Existenz geringster Spuren von Substanzen zum Risiko erklärt wird, ohne dass relevante Auswirkungen oder gesicherte Kausalzusammenhänge dargestellt sind. Hinzu kommen Studien, die zu einer überspitzten Bewertung der ökologischen Situation in den Agrarsystemen verleiten. Ein Beispiel ist die sog. „Krefeld-Studie“ zu Veränderungen der Insektendichten, die zur Rechtfertigung einer immer restriktiveren Pflanzenschutzpolitik entscheidend beigetragen hat, obwohl sie kaum Aussagekraft besitzt und von keiner anderen Studie auch nur annähernd bestätigt werden kann. Insofern tragen auch falsche Impulse aus der Wissenschaft erheblich zur

gesellschaftspolitischen Fehlbewertung des Pflanzenschutzes bei.


Nachdem das Argument gesunder Lebensmittel seine Kraft verloren hat, denn Lebensmittel aus konventioneller Produktion sind sicher, fokussiert die Kritik an Pflanzenschutzmitteln jetzt auf die Biodiversität, so auch in der SUR. Das ist insofern bemerkenswert, als moderne Pflanzenschutzmittel weder das Ziel, noch das Potenzial haben, Arten zu eliminieren. Von den Schaderregern wissen wir das sehr gut, denn sie kommen bekanntermaßen im Folgejahr alle wieder. Bei den Nichtzielorganismen außerhalb der Behandlungsflächen ist ein Artenverlust gänzlich auszuschließen. Nicht von ungefähr gibt es dafür auch keinen wirklichen Beleg. Das

Konzept des chemischen Pflanzenschutzes, die Herunterregulierung von Schaderregerpopulationen unter die wirtschaftliche Schadensschwelle, und zwar nur bis zur Ernte, wird offenbar nur von den Wenigsten verstanden.


Auch Agrarökologen räumen inzwischen ein, dass der Habitatzustand der Agrarlandschaft – neben Witterung und Klima - die entscheidende Determinante ist. Aus all dem folgt: Pflanzenschutz ist die falsche Stellschraube zur Regulierung von Biodiversität. Die SUR basiert auf einer falschen Grundannahme.


Verlierer ist in jedem Fall die Landwirtschaft, denn durch invasive Arten, Virulenzveränderungen und Neuanpassung an die Wirtspflanze nehmen Schaderregerprobleme eher zu. Die Erhaltung einer nachhaltig-produktiven Pflanzenproduktion erfordert daher zukünftig einen noch effektiveren Pflanzenschutz, es sei denn, man akzeptiert bedeutende Produktivitätsrückgänge. Andernfalls wird man auf moderne Wirkstoffe nicht verzichten können, die aber durch Sortenresistenz und risikominimierende Anbausysteme unterstützt werden müssen.


Mögliche Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz wie Biologicals oder Roboterbasierte Unkrautbekämpfung werden nur in relativ kleinen Nischen einsetzbar sein. Im Einsatz neuer Züchtungsmethoden für die Verbesserung der Sortenresistenz oder dem Einsatz der RNAi-Technik liegen große Zukunftschancen, deren Potential sich unter Praxisbedingungen aber erst noch erweisen muss. Voraussetzung ist aber auch hier Technologieoffenheit der Gesellschaft.


SUR verfolgt berechtigte Ziele, denn alle bejahen gesunde Lebensmittel und eine belebte Umwelt. Da sie aber wissenschaftlich festgestellte Kausalzusammenhänge ignoriert, wird sie ihre Ziele nicht erreichen. Einem erheblichen Schaden steht somit keinerlei Nutzen gegenüber. Es wäre nicht das erste Beispiel von legislativer Fehlsteuerung im Pflanzenschutz, siehe Beizverbote oder Beschränkungen des Herbizideinsatzes.


Pflanzenschutzpolitik ist seit Jahren eine Getriebene von Kampagnen. Wir haben Kampagnen auch gegen grüne Gentechnik oder Corona-Impfungen erlebt. In letzterem Fall hat die Politik klug und sachgerecht gehandelt. Dies wäre ein gutes Beispiel zur Beherzigung auch in den beiden anderen Technologiefeldern.












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